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Frankfurter Allgemeine Zeitung


Warum verpuffen Werbegelder?

Von Kay Tangermann


Jedes Jahr werden ca. 30 Milliarden Euro für Werbung in Deutschland ausgegeben. Aber viel zu häufig verfehlen Anzeigenkampagnen oder Werbespots die Aufgabe, Produkte oder Dienstleistungen zu verkaufen. Meist findet auch keine Messung des Auftritts statt. Der Autor vertritt den Standpunkt, daß Aufmerksamkeit niemals das alleinige Ziel der Werbung sein kann. Zudem wirft er den Vorständen vor, sie nähmen die eigene Werbung nicht ernst, so daß die für die Werbung Verantwortlichen nicht gezwungen seien, Nachweis über die Wirksamkeit zu liefern. (noa.)


Warum wird so oft am Produkt vorbei geworben?
Im 30-Milliarden-Markt "Werbung" ist dieser Skandal täglich Realität: Etwa 90 Prozent der Werbung verpuffen wirkungslos.
Eine große dekorative Villa in guter Lage kostet zwischen einer und sechs Millionen Euro. Eine große dekorative Anzeigenkampagne in guter Lage genausoviel. An einer Villa kann man sein Leben lang seine Freude haben. Ein paar Doppelseiten in vier Farben werden oft nur wenige Sekunden betrachtet, kaum gelesen, schnell vergessen oder erbarmungslos überblättert.
Mit der größten Gedankenlosigkeit, Egozentrik und Blauäugigkeit ­ oder ist es stille Einfalt ­ sieht man Anzeigen, die weder in der Schlagzeile, dem Text noch im Bild die Werbebotschaft präzise assoziieren. Mit unerbittlicher Logik ergibt sich daraus der zwingende Schluß: Der Konsument müßte eine solche Anzeige bis zum Schluß durcharbeiten, um eventuell zu erfahren, was man ihm eigentlich mitteilen möchte. Doch wer macht das schon, wer hat Lust und Zeit, eine Denksportaufgabe Anzeige zu lösen?

Das gleiche gilt für die TV-Spots; allein die blitzschnelle Abfolge von zumeist austauschbaren Spots verhindert den Transport vom Kurzzeit- ins Langzeitgedächtnis. Sehr viele Zuschauer können sich noch nicht einmal an jene Marke erinnern, die sie gerade eben erst sahen; sie alle haben zwangsläufig eine wahre Virtuosität im Ausblenden und Vergessen entwickelt.

Was tun die werbetreibenden Firmen gegen das pausenlose Sperrfeuer aller Medien?
Erhöhen sie die Zahl ihrer Geschosse, also den Werbedruck? Machen sie laufende Verbraucher-Tests, überprüfen sie also, wie viele Verbraucher die Anzeigen wo und wann zu wieviel Prozent lesen und verstehen?
Beobachten sie die Konkurrenz, kontrollieren sie also ständig deren Aktivitäten und reagieren sie sofort mit Gegenmaßnahmen auf ähnliche oder bessere Anzeigen in Wort und Bild? Steigern sie ihre Professionalität, suchen sie also nach intelligenteren und erfahrenen Textern, Grafikern und Typografen mit langjähriger Praxis? Könner unter den Texter/innen gibt es inzwischen in Deutschland so wenig, daß sie unter Artenschutz gestellt werden müßten. Sorgen sie für deren und die eigene Weiterbildung, also die permanente  höherqualifizierung durch die neuesten Erkenntnisse der Psychologie und Marktforschung?
Garantieren sie das A und O jeder Werbung, also die ständige Erfolgskontrolle, wieviel z.B. jede einzelne Anzeige tatsächlich verkauft hat?
Statt schlichter Ja/Nein-Antworten sollte man die Tatsachen sprechen lassen. Alle folgenden Beispiele sind leider repräsentativ und täglich zu Hunderten und Tausenden überall präsent.


Intelligente Schlagzeilen?

Der Phaeton ist ein Auto der Spitzenklasse, dessen Verkauf das geplante Ziel dennoch bei weitem nicht erreicht. Die Anzeigenwerbung ficht das nicht an. Seit Jahr und Tag erscheinen Woche für Woche dieselben großformatigen Anzeigen mit der Schlagzeile „Zum Glück hinterlassen Abschiedstränen keine Flecken auf Nappaleder“. Warum der Vorbesitzer bitterlich weint und das Auto schon nach wenigen Monaten zurückgab, wird nicht erklärt. Eine andere Doppelseite zeigt den Wagen unter einer Laterne. Schlagzeile: „Auch Straßenlaternen haben mal Glück. Der Phaeton“. Einen Haupttext gibt es nicht.
Sind das verkaufsstarke Schlagzeilen, die ein 100.000-Euro-Auto gegen die Mercedes- und BMW-Dominanz verkaufen, oder teure Eulenspiegeleien?
Ein Telefonanruf beim Servicecenter von Phaeton, verbunden mit der Frage nach dem Sinn einer weiteren ganzseitigen 50.000-Euro-Anzeige: „Eines der schönsten Cockpits. Nicht zuletzt dank der Tank-Anzeige“, brachte keine Aufklärung. „Was die Schlagzeilen bedeuten, kann ich Ihnen nicht sagen, aber unsere Werbeleute werden sich schon irgendwas dabei gedacht haben. Ist ja außerdem alles Geschmacksache, da lohnt es sich nicht, drüber nachzudenken.
Wieso nehmen Sie unsere Werbung eigentlich so ernst?“
Saab inseriert mit halbseitigen Anzeigen unter der Schlagzeile „Schöne Bescherung für Ungeduldige“ in einer Sonntagsausgabe. Wer sofort ungeduldig anruft, wird mit einem 18-Sekunden-Tonband abgewatscht: „Leider rufen Sie außerhalb unserer Geschäftszeit an. Sie erreichen uns Montag bis Freitag von neun bis fünf Uhr“. Hat man bei Saab keine Lust, am Wochenende und nach 17 Uhr seine Autos zu verkaufen? Wozu inseriert man dann überhaupt?
Versandhäuser wie Lands´ End kann man rund um die Uhr anrufen und bekommt auch nachts um drei sofort eine qualifizierte Antwort.


Banken werben ins Blaue hinein

Im Gegensatz zu früheren Jahren haben alle großen Kreditinstitute ihre Printwerbung stark ausgeweitet. Die Konkurrenz ist härter, das Geld knapper, die Kunden sind konservativ und ihre Bereitschaft mangels Wissens, sich mit der schwierigen Finanzmaterie auseinanderzusetzen, ist nur gering. Für die Privatkunden sind die meisten Bankprodukte darum hoch erklärungsbedürftig. Eine große Bank gibt ihre millionenschwere Anzeigenkampagne in einen Labortest. Das Ergebnis: Der wichtige Haupttext wird wegen sachlicher, textlicher und typografischer Mängel nur von sage und schreibe sechs Prozent mehr als zur Hälfte gelesen! 55 Prozent der Leser bemerkten noch nicht einmal den Namen der Bank. Den Werbeleiter läßt das kalt, die Anzeigen erscheinen weiter in der bisherigen Form. „So schnell kann man da nichts erwarten, da muß man mindestens ein bis zwei Jahre inserieren, bevor man Ergebnisse sehen kann“, so der Werbeleiter. Selbstbetrug par excellence.

Sehr häufig hört man die Meinung, bei sogenannten Image-Anzeigen „würde immer etwas hängenbleiben“. Die Unlogik und der Denkfehler springen einen geradezu an: Wenn man ins Dunkle hinein wirbt und darum die Wirkung nicht kennt, ist es gleichermaßen wahrscheinlich, daß sie neutral, positiv, sogar negativ ist oder gar nicht eintritt. Eine einzige Zahl bringt die ganze Diskussion auf den Punkt: 12 Prozent. Das ist der Mittelwert seriöser Untersuchungen, wieviel Prozent des Textes der Werbung der deutschen Kreditinstitute gelesen werden. Wobei lesen ja nicht kaufen bedeutet. Im Umkehrschluß heißt das: 88 Prozent der Anzeigentexte sind zum Fenster hinaus gesprochen.

Ein anderes Kreditinstitut wirbt ­ wie auch seine zahlreiche Konkurrenz ­ intensiv um neue Privatkunden. An einem Wochenende erscheinen in den großen Tageszeitungen mit zusammen etwa 15 Millionen Lesern ganze Seiten. Etwa die Hälfte füllt der Kopf eines Fotomodells aus, daneben stehen wenige kurze Zeilen mit allgemeinen, austauschbaren Bemerkungen und am Schluß eine Telefonnummer: man würde sich über einen Anruf freuen. Am anderen Ende meldet sich ein Tonband: Es sei zur Zeit nicht möglich, den Anruf entgegen-zunehmen, man möge bitte seine Telefonnummer hinterlassen.
Nach drei Wochen, die über 10 Millionen Euro kosteten, haben sich 35 Interessenten (nicht Käufer) gemeldet. Jeder Interessent kostete also 280.000 Euro. Ein Waterloo für die Kampagne. Reagiert der Vorstand, wird sie gestoppt? Nichts dergleichen, die teure Kampagne wird unverändert fortgesetzt.
Daß man außerdem täglich in der Presse Hunderten von Anzeigen begegnet, deren Hauptaussage ein dominierendes Gesicht ist, scheint niemanden zu interessieren. Eine Konkurrenzbeobachtung fand und findet offenbar nicht statt. Der Clou der ganzen Angelegenheit: Drei weitere Hauptkonkurrenten werben aus der Sicht des Laien in nahezu identischer Form: das riesige Bild eines Fotomodells, einige allge-meine Zeilen, eine textgleiche Schlagzeile und eine Telefonnummer oder nur eine Internet-Adresse. Kommentar des Marketingleiters: „Wir erwarten eigentlich kaum Anrufe, wir wollen uns ja nur bekannt machen und Image bilden“.

Immer dann, wenn schwammige, triviale Formulierungen und unklare Vorstellungen gerügt wurden, kam diese Entgegnung, gern verbunden mit dem Zusatz, da man den Erfolg nicht messen könne, komme es nun auch nicht mehr darauf an, ob eine Aussage mehr oder minder präzise sei. Da  „Image“-Anzeigen genauso teuer wie „normale“ Anzeigen sind, müssen sie es sich gefallen lassen, mit derselben Elle der Effizienz und Erfolgskontrolle gemessen zu werden. Ist das angeblich unmöglich, stimmt etwas an der Anzeige nicht. Die Verfertiger derartiger Anzeigen kommen mir vor wie Jäger, die blindlings in die Luft schießen und hoffen, es werde schon irgendwann und irgendwo ein Fasan vom Himmel fallen. "Image" ist ja kein Wert an sich, kein abstrakter oder metaphysischer Begriff, kein Astralleib, der über der alltäglichen Werbung schwebt. Die Tatsache, daß ein Leser den Namen kennt oder freundliche Vorstellung mit ihm verbindet, ist unerheblich. Der Bekanntheitsgrad oder das diffuse „Image“ sind wertlose Münzen, solange es nicht zum Kaufakt kommt.

Es gibt überhaupt nur zwei Arten von Anzeigen: jene, die verkaufen, und die anderen, die es nicht schaffen. Die Gretchen-Frage jeder Werbung lautet: Welchen Erfolg bringt mir meine Werbung?
Diese Frage wurde Tausenden von Marketingleitern und der Geschäftsführung gestellt. Die Antwort ist meist ernüchternd, ja unfaßbar ­ viele wissen es nicht. Im Grunde ist dies die normalste Frage der Welt, die jeder Kaufmann aus ureigenem Interesse beantworten müßte. Viele Werbeverantwortliche sind aber allen Ernstes der Meinung, klassische Werbung wie Anzeigen könne man so gut wie gar nicht messen. Darum werden natürlich jene, die von einer Sache nicht überzeugt sind, auch die Kontrolle ihres Erfolgs für entbehrlich halten.
Jede Woche liest man in der Presse informative Interviews mit den Spitzenmanagern. Sie äußern sich zum Arbeitsmarkt, zu eigenen Investitionen im In- und Ausland, Produktinnovationen, Chancen und Risiken in Osteuropa, China und Indien, der Dollarschwäche und anderen Auspizien. Aber so gut wie keiner dieser Spitzenmanager äußert in diesen Gesprächen ein einziges Wort über die Werbung seines Unternehmens, ihre Absichten und Ziele, ihren Erfolg oder Mißerfolg.
Ist es da verwunderlich, wenn eine Stufe tiefer die Marketingleiter auf die direkte Frage nach dem Erfolg ihrer Werbung pikiert reagieren und ausweichen? Die Frage gilt als unziemlich und wird als verhüllte Kritik empfunden. Wer läßt sich schon gern sagen, daß seine Werbung nicht so effizient ist, die Wahl der Werbeagentur vielleicht falsch und die Konsequenzen bitter sind? Fast immer heißt es, die jeweilige Werbung hätte eine große Aufmerksamkeit gefunden, man sei rundum zufrieden, und im übrigen wolle man ja zuallererst „Image bilden“. Hartnäckiges Nachfragen, was denn die einzelne Anzeige wirklich verkauft habe, wird als lästige Intimfrage empfunden und ausweichend abgeblockt.
Dietrich Dörner, Chef des Instituts für Theoretische Psychologie in Bamberg und Leibniz-Preisträger, gab kürzlich in dieser Zeitung auf die Frage „Kann man aus Fehlern lernen?“ die knappe Antwort: „Schwierig! Dazu gehört das Eingeständnis, daß man vorher falsch entschieden hat. Bei Untersuchungen zeigt sich immer wieder, daß Fehlereingeständnisse das Selbstwertgefühl des Managers in einer für ihn kaum erträglichen Weise beeinträchtigen.“
Dies ist die Realität: Immer dann, wenn ein Unternehmen mit einer Anzeige an die Öffentlichkeit tritt, exponiert es sich. Es initiiert einen Dialog, der um so effizienter ausfällt, je interessanter die Anzeige getextet und gestaltet ist. Das Unternehmen setzt sich automatisch einer Beurteilung aus, ob es will oder nicht, wie immer seine Absichten, Wünsche oder Ziele sein mögen. Das Schiedsgericht der vielen Millionen Leser ist unerbittlich. Ist der Erfolg gleich Null, waren das Angebot oder die Werbung schlecht!

 

Ein weiterer Artikel aus der FAZ über unser Buch
„Werbung – der Milliardenpoker“:


Kay Tangermann beherrscht die Kunst, auch sachliche Informationen in leichter, lockerer Weise vorzutragen. Man merkt ihm den Spaß am geschliffenen, pointierten Formulieren, am vertrauten Umgang mit der Sprache an. Immer wieder – und oft überraschend – zeigt er ungewohnte, originelle Perspektiven auf und regt zum Weiterdenken an. So gerät dies Kompendium zu einem ausgesprochenen Lesevergnügen.


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